I.2 Kreisel - Definitionen und Konstruktionen
Jeder sich drehende starre Körper ist ein Kreisel ## Oft findet man auch: "Der Kreisel ist ein rotierender starrer Körper, von dem ein Punkt festgehalten wird." Solange die Translation des festgehaltenen Punktes getrennt zur Rotation um diesen Punkt behandelt werden kann, besteht keine große Differenz in diesen Definitionen. Kraftfelder, Reibungs- oder Strömungseffekte können eine gegenseitige Beeinflussung verursachen.
Kreisel (13. Jh.). "Kräusel" scheint die ursprüngliche Form zu sein; "Kreisel" ist offenbar sekundär am Keis angeglichen worden. ("krusen" = "drehen"), Kluge, 1995. ##
: Ein Spielzeugkreisel, ein Bumerang, ein trudelndes Flugzeug, ein rotierendes Geschoß und ein Rad sind Beispiele. Kreiseleffekte treten ebenso auf bei der Drehung der Erde.
Zu unterscheiden sind verschiedene Kreisel und ihre Bewegungen aufgrund
1. der Massenverteilung des Kreisels,
2. der Existenz und der Art und Lage des Unterstützungspunktes, bzw. der auf den Kreisel wirkenden Kräfte.
Die Massenverteilung eines Körpers wird beschrieben durch den Trägheitstensor und somit durch den Trägheitsellipsoiden. Die Bezeichnung verschiedener Kreisel beruht auf der Form ihrer Trägheitsellipsoide.
Der asymmetrische Kreisel
Ein beliebiger starrer Körper hat nach dem Hauptachsentheorem drei verschiedene Hauptträgheitsmomente, sein Trägheitsellipsoid also drei verschiedene Halbachsen (Ix
¹ Iy ¹ Iz => r x ¹ r y ¹ r z); demnach wird dieser als asymmetrischer Kreisel bezeichnet (vgl. Bild 1.9 Kapitel I.1.5 Das Trägheitsellipsoid).Bemerkung: Man findet für jeden beliebigen starren Körper einen homogenen Quader, der das gleiche Trägheitsellipsoid hat.
Der symmetrische Kreisel
Sind zwei Hauptträgheitsmomente Ix und Iy eines Körpers identisch, so ist sein Trägheitsellipsoid um die Hauptträgheitsachse z rotationssymmetrisch (Ix = Iy
¹ Iz => r x = r y ¹ r z). Dementsprechend sprechen wir von einem symmetrischen Kreisel und bezeichnen die z-Achse als Symmetrieachse ## Ich weiche hier von der internationalen Vereinbarung (Ix £ Iy £ Iz) ab und verwende mit der konsequenten Auszeichnung der Figurenachse als z-Achse die traditionelle Benennung. ## oder Figurenachse. Die beiden anderen Achsen können dann, senkrecht zueinander, beliebig gewählt werden (vgl. Bild 1.10 Kapitel I.1.5 Das Trägheitsellipsoid).
Eine Fahrradfelge mit der Achse als Symmetrieachse (Bild 2.2 und 2.3 Seite 21), ein Quader mit zwei gleichen Kantenlängen oder der Kinderkreisel (Bild im Vorwort Seite 5) sind Beispiele für einen symmetrischen Kreisel.
Es werden zwei Fälle unterschieden:
Wenn Ix = Iy > Iz ist, sprechen wir von einem gestreckten oder prolaten Kreisel (z. B. bei einem Bleistift oder Zylinder in Bild 1.10),
wenn Ix = Iy < Iz ist, von einem abgeplatteten oder oblaten Kreisel (z. B. Diskus oder Fahrradfelge).
Der Kugelkreisel
Sind alle Hauptträgheitsmomente eines Körpers identisch, so ist sein Trägheitsellipsoid eine Kugel (Ix = Iy = Iz =>
r x = r y = r z). Der Kreisel wird dann Kugelkreisel genannt. Beim Kugelkreisel stellt jede durch den Schwerpunkt verlaufende Achse eine Hauptträgheitsachse dar. Ein homogener Würfel, eine homogene Kugel oder die im folgenden besprochene Konstruktion sind Kugelkreisel.
Als Beispiele ## Nach Klein/Sommerfeld, Bd. 1, 1922, §4. ## der drei Kreiselarten mit geometrischer Rotationssymmetrie kann stets ein mit homogener Masse gefülltes Trägheitsellipsoid gedacht werden, welches entweder verlängert, abgeplattet oder eine Kugel ist. Es ist aber auch leicht, Beispiele von Kreiseln mit nur mechanischer Rotationssymmetrie zu konstruieren:
Vier Massenpunkte ## In Anlehnung an: Klein/Sommerfeld, Bd. 1, 1922, §4. ## von gleicher Masse, welche die Ecken eines Quadrates bilden und miteinander durch starre, massenlose Stäbe verbunden gedacht werden, stellen einen abgeplatteten, symmetrischen Kreisel ohne geometrische Rotationssymmetrie dar. Befestigt man auf der Figurenachse dieses Kreisels, d. h. auf der im Mittelpunkte 0 des Quadrates errichteten Normalen (vgl. Bild 2.1) einen weiteren Massenpunkt mz, so erhält man je nach dem Abstand dieses Punktes von 0 und je nach seiner Masse einen abgeplatteten Kreisel, einen verlängerten Kreisel oder einen Kugelkreisel.
Insbesondere kann auf die angegebene Weise immer ein Kugelkreisel hergestellt werden, welcher ein beliebig vorgegebenes, positives oder negatives ## Wenn die Masse mz auf der negativen z-Achse liegt. ## Drehmoment der Schwere besitzt, dessen Schwerpunkt also nicht mit 0 zusammenfällt (s.u.).
Durch je zwei gleiche, symmetrisch zum Ursprung und auf den Koordinatenachsen liegenden Massen kann ein beliebiger kräftefreier Kreisel konstruiert werden.
Um die elementaren Kreiselbewegungen zu untersuchen, eignen sich gut gelagerte, symmetrische Kreisel, die in einem Punkt auf der Symmetrieachse fixiert sind.
Konstruiert man den Kreisel derart, daß dieser Fixpunkt mit dem Schwerpunkt des Kreisels zusammenfällt, der Schwerpunkt und Drehpunkt des Kreisels also im Raum fest ist, wirkt keine Gravitationskraft F auf den Kreisel. Der Kreisel ist dann kräftefrei, vorausgesetzt, daß Reibungskräfte vernachlässigt werden können. Bild 2.2 und die Bilder 2.3 zeigen Möglichkeiten zur Konstruktion solcher Kreisel - vergleichen Sie hierzu auch die im Kapitel II.1 vorgestellten Kreiselmodelle. Wirkt keine Kraft (F = 0), so existiert kein Drehmoment (M = r
´ F = 0), also ist der Drehimpuls zeitlich konstant (dL / dt = M =0).
Der Drehimpuls L des kräftefreien Kreisels
ist in Betrag und Lage zeitlich konstant.
Die Bewegung kräftefreier Kreisel wird im Kapitel Nutation (I.3) diskutiert.
Nun sind die vier Kreisel in Bild 2.3 derart konstruiert, daß ihr Schwerpunkt aus dem Fixpunkt verschoben werden kann, so daß eine leicht berechenbare Kraft auf sie wirkt. Dies geschieht beim Kreisel
a) durch Auflage von Gewichten## Rozé konstruierte den Kreisel derart, daß der Schwerpunkt unterhalb des Auflagepunktes liegt. Durch das Auflegen von Gewichten kann nun der Schwerpunkt beliebig verlagert werden. ## ,
b) durch Verschieben der Figurenachse,
c, d) durch Anhängen von Gewichten an die Figurenachse.
Liegt der Fixpunkt nicht im Schwerpunkt des Kreisels, bewirkt die Gravitationskraft Fg ein Drehmoment M = r
´ F und man nennt den Kreisel einen schweren Kreisel. Für die Änderung des Drehimpulses gilt dL/dt = M.
Der Drehimpuls L des schweren Kreisels ist nicht konstant.
Die Bewegung schwerer Kreisel wird in den Kapiteln Präzession (I.4) und Überlagerung von Nutation und Präzession (I.5) diskutiert.
Bild 2.3 verschiedene Kreiselmodelle
Bild 2.3 a): mit freundlicher Genehmigung des Verlages entnommen aus: Klein / Sommerfeld, Theorie des Kreisels, Heft 1, © 1923 B.G. Teubner Stuttgart und Leipzig.