I.6 Namengebung

 

In der Literatur zum Kreisel finden sich verschiedene Begriffe für eine Gegebenheit. Daher möchte ich auf die von F. Klein und A. Sommerfeld gewählte Namengebung eingehen und im weiteren die von mir gewählten Begriffe begründen.

 

F. Klein und A. Sommerfeld legen besonderen Wert auf die nach Thomson und Tait definierte Unterscheidung zwischen Kinematik und Kinetik: Während die Kinematik lediglich mit den Begriffen Raum und Zeit operiert und die Bewegungen nur nach ihrer geometrischen Möglichkeit untersucht, nimmt die Kinetik die Begriffe von Masse und Kraft hinzu und behandelt die Bewegungen mit Rücksicht auf ihre mechanische Möglichkeit. In diesem Sinne behandeln F. Klein und A. Sommerfeld ?? Klein /Sommerfeld, Bd. 1, 1922, §6. ?? vorerst die Kinematik, d. h. die Möglichkeiten der Bewegung eines in einem Punkt festgehaltenen Kreisels und definieren die "reguläre Präcession" kinematisch ?? Klein /Sommerfeld, Bd. 1, 1922, §6. ?? :

 

Es dreht sich die Figurenachse um eine feste Gerade des Raumes unter konstanter Neigung mit gleichförmiger Winkelgeschwindigkeit; gleichzeitig dreht sich der Kreisel um die Figurenachse gleichfalls mit gleichförmiger Winkelgeschwindigkeit herum. Die feste Gerade des Raumes bezeichnen wir als die ,Axe der Präcession’, wir denken uns dieselbe meistens der Einfachheit halber vertikal.

 

Präzession und Nutation werden demnach als "Präcession", meistens als "reguläre Präcession" bezeichnet. Die folgende Aussage schildert prägnant den Grund dieser Namengebung ?? Klein /Sommerfeld, Bd. 1, 1922, §6. ?? .

 

Wir sind auf die reguläre Präcession um so lieber eingegangen, weil uns eine geringe Modifikation des Begriffes gestattet, jede beliebige Bewegung des Kreisels für einen bestimmten Zeitpunkt als eine geeignete Präcessionsbewegung aufzufassen.

 

F. Klein und A. Sommerfeld unterscheiden in ihrer Abhandlung (1. Auflage 1910) erstmalig zwischen regulärer Präzession und pseudoregulärer Präzession ?? Klein /Sommerfeld, 1922 Kap.4§2, Kap.5§2, Goldstein, 1963 §5-8. ?? (Überlagerung von Nutation und Präzession). Den Namen "pseudoreguläre Präcession" wählen sie aufgrund der Tatsache ?? Klein /Sommerfeld, 1922 Kap.4§2, Kap.5§2. ?? , daß im Experiment die Nutationen des präzessierenden ?? Anstelle von präzessieren kann auch präzedieren verwandt werden. Fremdwörterbuch Duden, 1997. ?? Kreisels oft nicht sichtbar sind und die Bewegung bis dato als reguläre Präzession (reine Präzession) mißverstanden wurde ## Vgl. Kapitel: I.5 Überlagerung von Präzession und Nutation. ## .

Aus folgenden Gründen verwende ich die Bezeichnung Nutation für die Bewegung des kräftefreien Kreisels:

 

1. Auch F. Klein und A. Sommerfeld verwenden in ihren Werken ?? Klein /Sommerfeld, 1922 Kap. 4 §2, Kap.5 §1, Kap. 5 §2 ?? zur präzisen Unterscheidung der Bewegungsformen den Begriff "Nutation" in diesem Sinne.

2. Besonders für den Anfänger sollte exakt zwischen der Bewegung des kräftefreien und der des schweren Kreisels unterschieden werden.

 

Die Bezeichnung "Überlagerung der Präzession und Nutation" folgt

1. aus der Verwendung des Begriffes der Nutation.

2. aus dem von mir verwandten Kreisel: Bei der Untersuchung der Bewegungsformen des von mir verwandten Gyroskops ## vgl. II.1 Die Kreiselmodelle ## im nicht-kräftefreien Fall sind Nutationen mit einem beliebig großen Öffnungswinkel die Regel. Eine nutationsfreie Präzession kann nur mit einer gewissen Übung erzeugt werden und tritt somit deutlich als Spezialfall ein. Der Begriff "pseudoreguläre" Präzession scheint daher meiner Meinung nach didaktisch nicht sinnvoll.

Im Gegensatz zu dem von F. Klein und A. Sommerfeld zu Demonstrationszwecken verwandten "Kleinschen Kreisel" liegt die Drehimpulsachse des kräftefreien Gyroskops nie vertikal.