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Betrachtet man die Naturphilosophie der Griechen in der Zeit vor Aristoteles,
so findet man zahlreiche Beschreibungen von Aufbau und Verhalten der Natur,
wobei viele der Beschreibungen miteinander konkurrieren (z.B. ``Das
Seiende ist unbeweglich, Bewegung ist Täuschung'' (Eleaten) und
``Alles fließt und nichts bleibt'' (Heraklit)). Eine solches
Nebeneinander zahlreicher Theorien wird nach Kuhn als
vorparadigmatische Wissenschaft bezeichnet. Diese charakterisiert
eine Periode, in der es noch keine einheitliche Lehrmeinung darüber gibt,
innerhalb welchen Modells Forschung voranzuschreiten habe. Lernt
dagegen heutzutage ein Student oder Schüler eine bestimmte
Naturwissenschaft, so wird ihm in der Regel unabhängig von seinen
speziellen Lehrern und Lehrbüchern ein bestimmtes Bild dieser Wissenschaft
vermittelt; Kuhn würde sagen, er wird in die Paradigmen der jeweiligen
wissenschaftlichen Gemeinschaft eingearbeitet.
Ein solches Paradigma wurde z.B. geschichtlich durch die Werke des
Aristoteles eingeführt, die durch ihre systematische Abhandlung und
den Aufbau eines Weltbildes den Respekt der folgenden
Forschergenerationen erwarb. Was unterscheidet nun die Forschung
innerhalb eines Paradigmas, die sogenannte normale Wissenschaft
(im Sinne von wissenschaftlicher Tätigkeit innerhalb einer bestimmten
Norm) von der vorparadigmatischen Phase einer Wissenschaft?
Die normale Wissenschaft bietet der Forschung einen klaren Rahmen, wodurch
bestimmte Fragestellungen sich gegenüber anderen hervorheben (z.B. wurde
durch die Forderung nach geometrischen, wiederkehrenden Bahnen für die
Himmelskörper die geometrische Beschreibung dieser Bahnen zu einem
wichtigen Ziel; nicht zu untersuchen - und damit für Forscher uninteressant
- war dagegen die Frage, warum die Himmelskörper auf diesen
Bahnen laufen, dies wurde durch das Paradigma vorgegeben). Dadurch
kann ein einzelner Forscher sich auf eine innerhalb dieses Paradigmas
gestellte Frage konzentrieren und Ergebnisse ausarbeiten - Kuhn bezeichnet
dieses Vorgehen als das Lösen von Rätseln, die das Paradigma stellt.
Die so ermittelten Ergebnisse - und dies ist das zweite wichtige
Charakteristikum - sind nun innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft
weiterverwendbar, da das Paradigma eine einheitliche
Verständigungsbasis schafft, ja die wissenschaftliche Gemeinschaft
wird gewissermaßen erst durch ein gemeinsames Paradigma gebildet.
Dies alles hat zur Folge, daß das Entstehen einer normalen Wissenschaft durch
die Systematisierung des Fachgebiets mit der Möglichkeit zur
Spezialisierung einerseits und die Bündelung der Kräfte andererseits
zu einem großen Gewinn an Effektivität im wissenschaftlichen Fortschritt
gegenüber der vorparadigmatischen Wissenschaft führt. Oder wie Francis
Bacon pointiert bemerkt hat: ``Die Wahrheit geht viel leichter aus einem
Irrtum als aus der Verwirrung hervor.''
Ein Beleg dafür sind z.B. die Berechnung der Himmelskörperbahnen durch
Ptolemäus, welche einen gewaltigen Fortschritt in der Astronomie
bedeutete. Es war nur durch die zugrundegelegte Physik des Aristoteles
möglich, die zu diesem Zeitpunkt schon gemeinhin akzeptiert war, daß
Ptolemäus sich auf die Details seiner Berechnungen konzentrieren
konnte und nicht erneut die Fragen nach den Grundlagen des Kosmos
beantworten mußte12. Ebenso kann die These
des Thales, daß die Welt sich allein mit Mitteln der Vernunft erklären
läßt, als Paradigma der Wissenschaft schlechthin betrachtet werden,
innerhalb dessen sich alle Wissenschaftler bewegen, wenn sie
z.B. metaphysische und emotionale Aspekte aus ihren Untersuchungen
auszuklammern versuchen.
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Tim Paehler
1998-10-04