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Einleitung: Rationalisierung bei Habermas

In dem Aufsatz `Technik und Wissenschaft als ´Ideologie´'3 beschreibt Jürgen Habermas bezugnehmend auf die Untersuchungen von Herbert Marcuse (für dessen 70. Geburtstag der Aufsatz als Festschrift entstand) die Gefahr der Selbstgenügsamkeit eines falsch verstandenen Rationalisierungsbegriffes. Er geht dabei von einer auf Max Weber basierenden Definition aus:

`Rationalisierung meint zunächst die Ausdehnung der gesellschaftlichen Bereiche, die Maßstäben rationaler Entwicklung unterworfen werden. Dem entspricht die Industrialisierung der gesellschaftlichen Arbeit mit der Folge, daß Maßstäbe instrumentalen Handelns auch in andere Lebensbereiche eindringen (Urbanisierung der Lebensweise, Technisierung des Verkehrs und der Kommunikation).'4

Das Problem besteht dabei nach Habermas in dem erzeugten Zirkelschluß: Die Rationalisierung hat als Ziel die Steigerung von Effizienz in Güter- und Dienstleistungsproduktion einerseits und die Ausdehnung der gesellschaftlichen Verwaltung (durch Bürokratie) andererseits. Betrachtet man also diesen Rationalisierungsprozeß rational5 (was er selbst in seiner Logik natürlich zwingend nahelegt), so wandeln sich die ihn antreibenden Momente zu Zielen und seine Erklärungen zu Rechtfertigungen. Bezogen auf die Ökonomie findet man in dieser Lesart die Marxsche Kritik des Kapitalismus wieder: Die Produktivkräfte müssen sich dem Produktionsprozeß unterordnen, die Herrschaft der Burgeoisie manifestiert sich durch das Kapital, dessen Vermehrung als oberstes Ziel allein das Überleben im Wettbewerb garantiert.6 Bezogen auf die Politik findet sich darin die Theorie von Max Weber, die in der Rationalisierung vor allem die Ausweitung von Herrschaft durch Bürokratie sieht.7 Diese wird allerdings keineswegs offen vorangetrieben:

`Max Webers ``Rationalisierung'' ist nicht nur ein langfristiger Prozeß der Veränderung gesellschaftlicher Strukturen, sondern zugleich Rationalisierung im Sinne Freuds: das wahre Motiv, die Aufrechterhaltung objektiv überfälliger Herrschaft, wird durch die Berufung auf technische Imperative verdeckt.'8

Die Verbindung von Wissenschaft, Technik und diesem Rationalisierungsbegriff läßt sich dabei wie folgt verstehen: Wissenschaft (hier als die `harten' Erfahrungswissenschaften, also Physik, Chemie, Medizin etc. verstanden) hat als Ziel die Beherrschung der Natur, Vollzogen wird diese durch den Einsatz. der Technik. Krebsforschung z.B. zielt auf die Beherrschbarkeit von Tumoren ab, Festkörperphysik auf die Steuerung von Strömen in Mikroschaltkreisen etc. Will man nun Forschung betreiben, so muß dieser Ablauf koordiniert werden, Menschen (z.B. Wissenschaftler) müssen sich einem Plan unterordnen, der letztlich die Verbesserung der Lebensqualität zur Folge (höhere Lebenserwartung, bessere Kommunikationsmöglichkeiten) haben soll. Das Problem besteht nun also in der Frage: Inwieweit soll sich der Mensch dem Plan unterordnen bzw. ab wann beginnt der Plan über den Menschen derart zu herrschen9, daß dieser sich mit seiner Verwirklichung nicht mehr identifizieren kann (nach Marx: von dem Produkt seines Tuns `entfremdet' wird). Aus der Beherrschung der Natur kann also fast übergangslos die Beherrschung des Menschen erfolgen - die Rationalität entwickelt ihre Eigendynamik, indem sie sich von ihren Subjekten ablöst. Was aber ist nun das Wesen dieser `Rationalität' der Wissenschaft, daß aus ihr solch ein Dämon erwachsen kann? Wir wollen in der Folge den Begriff der Rationalität, wie er sich in der technisierten Gesellschaft darstellt, genauer untersuchen.


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Tim Paehler
1999-03-23