Der Kommission, die vom damaligen NRW-Ministerpräsidenten Rau einberufen wurde,
gehören 23 Mitglieder an (inclusive dem Beauftragten des
Ministerpräsidenten), davon 5 Vertreter aus der Wirtschaft, der
Rest stammt größtenteils aus dem staatlichen Erziehungs- und Bildungswesen.
Mit Blick auf die Positionen der Mitglieder läßt sich damit bereits ein
übergeordnetes Interesse vermuten: Bildung soll als Hauptziel die aktive und
selbsttätige Teilnahme an der ( - und Einfügung in die - ) Gesellschaft zur
Folge haben. Tatsächlich findet sich dieser Schwerpunkt bereits in der
Zusammenfassung:
`Bildung soll als Lern- und Entwicklungsprozeß verstanden werden, in dessen Verlauf die Befähigung erworben wird,
Diese Formulierung des Bildungsbegriffs, der vor allem die Übernahme von
`Kultur' durch das Individuum bezweckt, entspringt der Definition von
Humboldts. So wird dieser auch ausdrücklich in der Bildungsdefinition
der Denkschrift zitiert:
`Wilhelm von Humboldt hat noch immer recht. Für ihn ist der Gebildete
derjenige, der ``soviel Welt, als möglich zu ergreifen, und so eng als er nur
kann, mit sich zu verbinden'' sucht.'7
Wie wird nun die Verbindung zwischen Mensch, Gesellschaft und Umwelt (letztere
werden in der obigen Lesart als `Welt' zusammengefasst) gesehen? Die
Beantwortung von Frage 1 (a) wird wie folgt gegeben:
`Gemeint ist, daß sich der Mensch vor allem in Dingen wiederzuerkennen
vermag, die er selbst gemacht hat, in Dingen, die seine Subjektivität atmen.
In dieser Welt bewegt sich der Mensch entdeckend, deutend und gestaltend,
und indem er dies tut, schafft er sich seine
Welt.'8
Die möglichst große Überdeckung der subjektiven Welt mit der intersubjektiven
und objektiven bzw. objektivierten (z.B. wissenschaftlichen) Welt kann so
als Ziel der Bildung angesehen werden. Ist dieser Zustand nämlich für jedes
Individuum erreicht, stellt sich die (schwerpunktmäßig) geforderte
gesellschaftliche Verständigung ein. Obwohl nun die Gesellschaftsfähigkeit
des Menschen das Hauptziel ist, kann durch die Betonung des subjektiven
Vorgangs der Bildung dies nur durch die Förderung der subjektiven Welt
(also lediglich indirekt) geschehen.9 Die
Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, lassen das Problem der Pädagogik
seit der Aufklärung hervortreten: Der Ausgang aus der Unmündigkeit kann nur
unterstützt, nicht aber erzwungen werden. Dieses Problem wird sich noch in
der Behandlung der schulischen Umsetzung des Bildungsbegriffs zeigen.
Die Frage nach der Unterscheidung zwischen Sein und Sollen (also: Was
sind die normativen Grundsätze des Bildungsverständnisses und wie wirken
Erkenntnisse über den Ist-Zustand auf sie ein) wird erneut klassisch
bildungstheoretisch10
beantwortet: Durch die Betonung des subjektiven Schaffens in der Welt soll
der Mensch sein Sein erkennen und zu seinem sowie dem gesellschaftlichen
Nutzen verändern.
`Bildung ist in erster Linie ein Können, kein bloßes
Sich-Auskennen in Bildungsbeständen [...] Daher verbindet sich der Begriff
der Bildung weiterhin mit dem Begriff der Orientierung. Beides gehört
zusammen: als Lebensform oder in der Form eines Könnens, das Welt in sich
zieht und Welt durch sich selbst ausdrückt.'11
Die Anpassung der Welt an das Individuum (z.B. durch dessen aktive Teilnahme an der Gesellschaft) soll also gleichzeitig die Anpassung des Individuums an die Welt sein (also z.B. die Einfügung in die Gesellschaft). Sein und Sollen bilden diesem Bildungsverständnis nach also insofern eine Einheit, daß sich das Interesse des einzelnen Menschen (= das Sein) und das Interesse der Gemeinschaft (= das Sollen) vereinen sollen.12