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Der Bildungsbegriff in der Diskussion in NRW

Ich beziehe mich hier auf die Diskussion, die durch die Denkschrift `Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft' der Bildungskommission 1995 angestoßen wurde, und seither dem Bekennen des Bildungsministeriums nach in die Schulreform eingeht.5

Der Kommission, die vom damaligen NRW-Ministerpräsidenten Rau einberufen wurde, gehören 23 Mitglieder an (inclusive dem Beauftragten des Ministerpräsidenten), davon 5 Vertreter aus der Wirtschaft, der Rest stammt größtenteils aus dem staatlichen Erziehungs- und Bildungswesen. Mit Blick auf die Positionen der Mitglieder läßt sich damit bereits ein übergeordnetes Interesse vermuten: Bildung soll als Hauptziel die aktive und selbsttätige Teilnahme an der ( - und Einfügung in die - ) Gesellschaft zur Folge haben. Tatsächlich findet sich dieser Schwerpunkt bereits in der Zusammenfassung:

`Bildung soll als Lern- und Entwicklungsprozeß verstanden werden, in dessen Verlauf die Befähigung erworben wird,

Diese Formulierung des Bildungsbegriffs, der vor allem die Übernahme von `Kultur' durch das Individuum bezweckt, entspringt der Definition von Humboldts. So wird dieser auch ausdrücklich in der Bildungsdefinition der Denkschrift zitiert:

`Wilhelm von Humboldt hat noch immer recht. Für ihn ist der Gebildete derjenige, der ``soviel Welt, als möglich zu ergreifen, und so eng als er nur kann, mit sich zu verbinden'' sucht.'7

Wie wird nun die Verbindung zwischen Mensch, Gesellschaft und Umwelt (letztere werden in der obigen Lesart als `Welt' zusammengefasst) gesehen? Die Beantwortung von Frage 1 (a) wird wie folgt gegeben:

`Gemeint ist, daß sich der Mensch vor allem in Dingen wiederzuerkennen vermag, die er selbst gemacht hat, in Dingen, die seine Subjektivität atmen. In dieser Welt bewegt sich der Mensch entdeckend, deutend und gestaltend, und indem er dies tut, schafft er sich seine Welt.'8

Die möglichst große Überdeckung der subjektiven Welt mit der intersubjektiven und objektiven bzw. objektivierten (z.B. wissenschaftlichen) Welt kann so als Ziel der Bildung angesehen werden. Ist dieser Zustand nämlich für jedes Individuum erreicht, stellt sich die (schwerpunktmäßig) geforderte gesellschaftliche Verständigung ein. Obwohl nun die Gesellschaftsfähigkeit des Menschen das Hauptziel ist, kann durch die Betonung des subjektiven Vorgangs der Bildung dies nur durch die Förderung der subjektiven Welt (also lediglich indirekt) geschehen.9 Die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, lassen das Problem der Pädagogik seit der Aufklärung hervortreten: Der Ausgang aus der Unmündigkeit kann nur unterstützt, nicht aber erzwungen werden. Dieses Problem wird sich noch in der Behandlung der schulischen Umsetzung des Bildungsbegriffs zeigen.

Die Frage nach der Unterscheidung zwischen Sein und Sollen (also: Was sind die normativen Grundsätze des Bildungsverständnisses und wie wirken Erkenntnisse über den Ist-Zustand auf sie ein) wird erneut klassisch bildungstheoretisch10 beantwortet: Durch die Betonung des subjektiven Schaffens in der Welt soll der Mensch sein Sein erkennen und zu seinem sowie dem gesellschaftlichen Nutzen verändern.

`Bildung ist in erster Linie ein Können, kein bloßes Sich-Auskennen in Bildungsbeständen [...] Daher verbindet sich der Begriff der Bildung weiterhin mit dem Begriff der Orientierung. Beides gehört zusammen: als Lebensform oder in der Form eines Könnens, das Welt in sich zieht und Welt durch sich selbst ausdrückt.'11

Die Anpassung der Welt an das Individuum (z.B. durch dessen aktive Teilnahme an der Gesellschaft) soll also gleichzeitig die Anpassung des Individuums an die Welt sein (also z.B. die Einfügung in die Gesellschaft). Sein und Sollen bilden diesem Bildungsverständnis nach also insofern eine Einheit, daß sich das Interesse des einzelnen Menschen (= das Sein) und das Interesse der Gemeinschaft (= das Sollen) vereinen sollen.12


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Tim Paehler
1999-04-07