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Praktische Grenzen

Während die erste Grenze der Rationalität dieser selbst innewohnt, existiert eine zweite Art von Begrenzung der Rationalität in ihrer Übertragbarkeit auf die Lebenswelt, wie sie z.B. in der Physik vollzogen wird. Seit David Hume (1711-1776) und Immanuel Kant (1724-1804) ist klar, daß der im Rationalismus notwendig begründete Kausalitätsbegriff nicht ohne weiteres auf die `Welt an sich' übertragbar ist. Die Erfolge der Naturwissenschaften haben zwar Philosophen wie Wissenschaftler im 18. und 19. Jahrhundert dazu verleitet, optimistisch den Fortschritt ins grenzenlose zu extrapolieren (bekanntestes Beispiel ist der Dämon von Laplace (1749-1827), der aufgrund der newtonschen Mechanik und dem Zustand aller im Universum beteiligten Teilchen, dessen Schicksal unfehlbar vorhersagen sollte), aber die Grenzen der mathematischen Naturbeschreibung wurden durch die Quantenmechanik und die nichtlineare Dynamik (Chaostheorie) im 20. Jahrhundert offengelegt. Letztere hat sich dabei durch ihre Verallgemeinerung als Systemtheorie14 auch für die Gesellschaftswissenschaften als bedeutsam erwiesen. Die Hauptthese der nichtlinearen Dynamik lautet: Durch die Rückbezüglichkeit eines Systems können sich seine Zustände einer Berechenbarkeit durch ihre explosionsartig wachsende Komplexität völlig entziehen.15 Der Molekularbiologe Friedrich Cramer bezeichnet es als Kennzeichen der lebendigen Materie, von fundamentaler Komplexität (also prinzipiell jenseits der Berechenbarkeit liegend) zu sein. Er faßt die Erkenntnisse Kants, Heisenbergs und Gödels unter dem Problembereich der Selbstbezüglichkeit zusammen:

`Mein Theorem also: Wegen der fundamental-komplexen physiologischen und neurologischen Eigenschaften des Gehirns gibt es in der Welt des Geistes, in der Schöpfung von Ideen, in der Welt der Entscheidungen keine einfache Kausalität und keine Prognostizierbarkeit. ... Bei der Tätigkeit des Gehirns, dem Leib-Seele-Problem, geht es um das Bewußtsein von Bewußtsein. Bei der Quantenmechanik um die Messung des Messens, bei den Unentscheidbarkeitssätzen um die Logik der Logik: Die metatheoretischen Voraussetzungen unserer Wissenschaften sind nicht abzusichern.'16

Die Bemühungen der Positivisten (z.B. Comte, Condorcet), die Mittel der exakten Wissenschaften auch auf die Sozialwissenschaften zu übertragen, scheitern also gerade an dieser fundamentalen Komplexität, da eine vollständig beschreibende Sozialwissenschaft das sich selbst reflektierende Individuum mit einbeziehen muß.

Es ist aber wichtig, das Wesen der Selbstbezüglichkeit zu erkennen. Durch ihren Rückkopplungsmechanismus werden ungesteuerte Systeme zwar aus statischer Sicht unbeschreibbar (das bekannteste Beispiel ist das des Schmetterlings, dessen Flügelschlag auf lange Sicht die Großwetterlage verändern kann), wenn aber die Möglichkeit besteht, innerhalb dieser Rückkopplung auf das System einzuwirken, also selbst Teil der Rückkopplung und damit Teil des Gesamtsystems zu werden, dann besteht die Möglichkeit einer Beschreibung des Systems in dem Maße, daß man das System in einem festen Zustand analysiert und dann durch Steuerung entscheidet, wie man seine Zukunft erfahren will. Durch die Dynamisierung der Sicht gesellt sich also zu der Erkenntnis unweigerlich der Begriff des Interesses.


 
Abbildung: Dynamisierung durch Aufnahme des Rückkopplungsprozesses in das System.
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Tim Paehler
1999-03-23