Die von Kopernikus gewünschte Einfachheit und Ästhetik ergab sich
also nur für ein System, das die gemessene Wirklichkeit nicht beschrieb.
Dazu folgten innerhalb des aristotelischen Weltbildes aus einem nicht
geozentrischen System weitere Ungereimtheiten: Wieso suchten Gegenstände
ihren natürlichen Platz im Erdmittelpunkt, wenn dieser nicht mit dem
Mittelpunkt des Kosmos zusammenfiel? Wieso bemerkte man die Bewegung
der Erde nicht? Das Trägheitsgesetz hätte zur Beantwortung dieser
Frage hinzugezogen werden müssen, es war jedoch noch nicht
formuliert. Kopernikus konnte die aristotelische Theorie nicht nach dem
falsifikationistischen Prinzip um ein heliozentrisches Weltbild
erweitern, da dies zu obigen Widersprüchen geführt hätte. Erst Newton
konnte das aristotelische Weltbild als Ganzes verwerfen und durch ein neues
ersetzen, dies wäre ihm jedoch ohne die Voruntersuchungen Kopernikus',
Keplers und Galileis unmöglich gewesen, wobei diese ihrerseits
wiederum auf das aristotelische Weltbild als Grundlage ihrer
Forschungstätigkeit angewiesen waren.
Die Kopernikanische Wende11
ist nach Kuhn ein Standardbeispiel für einen Paradigmenwechsel: Das
Paradigma des aristotelischen Weltbildes wird solange beibehalten, bis
die experimentellen Befunde ihm derart stark widersprechen, daß es durch ein
neues Weltbild abgelöst werden muß, wobei der Übergang mehrere Zeichen einer
Revolution trägt. Wir wollen nun die Begriffe der Kuhnschen
Wissenschaftstheorie genauer erläutern.